Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele Betriebe wurden in den letzten Wochen behördlich gesperrt, was leider zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit in Österreich geführt hat. Für Betriebe, denen per Verordnung de facto die Existenzgrundlage entzogen wurde, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, den Verbrauch von gewissen Urlaubs- und Zeitguthaben anzuordnen (§ 1155 Abs 3 und 4 ABGB).
Der Gesetzgeber hat diese drastischen Maßnahmen für Betriebe in massiven Existenzängsten geschaffen – nicht für die AUVA. Dennoch wurde die neue gesetzliche Bestimmung zum Anlass genommen, um auch bei uns wieder über Urlaubs- und Zeitguthaben zu diskutieren.
Wir ersuchen Euch um Informationen, falls wieder “sanfter Druck” zum Abbau von Urlaubs- und Zeitguthaben ausgeübt werden sollte.
Zur Information leiten wir euch unten den Standpunkt des Zentralbetriebsrates weiter, der gestern eine fundierte rechtliche Stellungnahme zu diesem Thema abgegeben hat:
“Sehr geehrter Herr Direktor Ass. jur. Wagner,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ergänzend zu Ihrem Mail möchten wir festhalten, dass ein einseitiges Anordnen des Verbrauchs von Urlaub oder Zeitguthaben nach unserer Rechtsauffassung in der AUVA weiterhin rechtlich nicht zulässig ist.
Unsere aktuelle Erfahrung und Befürchtung:
In ihrem Mail haben Sie darauf hingewiesen, dass der Verbrauch von Urlaubs- oder sonstigen Zeitguthaben in der AUVA weiterhin einvernehmlich erfolgen soll. Aufgrund von zahlreichen Erfahrungen der letzten Woche müssen wir leider befürchten, dass damit rechtswidrig angeordneter Zwang zum Urlaubsverbrauch und Verbrauch von Zeitguthaben droht:
Wenn man gewisse Führungskräfte kennt, ist es auch bereits problematisch, den Anschein zu erwecken, als wäre dies grundsätzlich rechtlich möglich. Uns wurden Schreiben von Führungskräften vertraulich übermittelt, die bereits letzte Woche – ohne jede Rechtsgrundlage und entgegen der Weisung des Generaldirektors – Urlaub angeordnet haben, z.B:
„Beantragen Sie Urlaub ab morgen bis Freitag“. Zahlreiche Führungskräfte haben letzte Woche auch mündlich den Verbrauch von Urlaub und Zeitguthaben angeordnet.
Betriebsräte waren durchgehend damit beschäftigt, die geltende Rechtslage wieder durchzusetzen. Jetzt werden genau die angesprochenen Führungskräfte wieder Aufwind verspüren und den Druck auf Mitarbeiter wieder verstärken. Dieses Ping-Pong-Spiel ist in der aktuellen Situation völlig kontraproduktiv und hilft der AUVA nicht beim Lösen von wichtigeren Problemen.
Wir begründen unsere rechtlichen Bedenken wie folgt:
- In Ihrem Mail verweisen Sie auf das COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020. Gemäß § 2 Abs 1 leg cit bedarf es dazu einer Verordnung des Sozialministers, des Landeshauptmannes oder der Bezirksverwaltungsbehörde, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens der AUVA führt.
Wir haben bei unserer Recherche keine derartige Verordnung gefunden und ersuchen daher, uns diese Verordnung bekanntzugeben. Diese Verordnung ist nämlich die erste zwingende rechtliche Voraussetzung dafür, dass § 1155 Abs 3 ABGB überhaupt anwendbar sein könnte.
2. Die AUVA wurde nicht behördlich geschlossen und die Dienstleistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden auf Basis des ASVG weiterhin erbracht – wenn auch zum Teil unter erschwerten Bedingungen und unter Verwendung zahlreicher privater Gegenstände für den dienstlichen Gebrauch. Viele Mitarbeiter verwenden ihre privaten Handys, Drucker, Bildschirme, Schreibmaterial etc., um die Tätigkeit bestmöglich von zu Hause aus zu verrichten. Was bei einem Werkunternehmer selbstverständlich ist, kann in einem Dienstvertrag nicht gefordert werden.
Dienstgeber sind also schlecht beraten, in dieser Situation über Repressalien nachzudenken (zumal die weitere rechtliche Grundlage gem. § 1155 Abs 2 S 2 ABGB fehlt).
3. Zwangsurlaub ist völlig neu in der Geschichte der zweiten Republik. § 1155 Abs 3 und 4 ABGB wurde für Betriebe geschaffen, deren Existenzgrundlage letzte Woche zusammengebrochen ist. In dieser einen Woche ist die Zahl der Arbeitslosen auf den höchsten Stand in der zweiten Republik geklettert. Hier hat das Parlament die Notbremse in Zusammenhang mit Kurzarbeit gezogen, um ein Explodieren der Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Die Situation der AUVA ist keineswegs mit einem Friseur oder Restaurant vergleichbar, deren Existenzgrundlage völlig weggebrochen ist. Nach dem Zweck der Norm (teleologische Interpretation) ist es aber rechtlich höchst problematisch, Bestimmungen für Betriebe in existenziellen Schwierigkeiten für die AUVA zu nutzen.
4. Derzeit ist es unmöglich, einen Urlaub im Sinne des Urlaubsgesetzes zu verbrauchen. Der Zweck des Urlaubes ist nach dem Urlaubsgesetz die Erholung (vgl z.B. § 4 Abs 1 UrlG).
Nahezu alles, was man mit Urlaub verbindet (Reisen, Fliegen, Sonnenbaden am Meer, Shopping, Restaurants etc.), ist derzeit unmöglich. Eine AUVA mit dem gesetzlichen Auftrag zur Prävention sollte von sich aus die Erholung der Mitarbeiter prioritär behandeln. Derzeit sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause isoliert, machen sich Sorgen um ihre Verwandten und wissen nicht, wie sie Betreuungspflichten und Homeoffice verbinden sollen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden nach der aktuellen Krise urlaubsreif sein.
5. Mit dem Anordnen des Verbrauchs von Urlaub, Zeitguthaben oder Ersatzruhezeiten würden Mitarbeiter gleichheitswidrig bestraft – oft würden ausgerechnet die besonders fleißigen Mitarbeiter bestraft, die aufgrund des Arbeitsanfalles noch keine Gelegenheit hatten, Guthaben zu verbrauchen.
Angesichts unserer begründeten Befürchtungen und rechtlichen Bedenken ersuchen wir nochmals um rasche Klarstellung, dass der Verbrauch von Urlaub und Zeitguthaben keinesfalls angeordnet werden darf!
Freundliche Grüße
Dipl. Wirtsch. Ing. (FH) Erik Lenz
Vorsitzender des Zentralbetriebsrates”